Drei Gründe, warum ich „Fürchtet euch nicht“ als Botschaft problematisch finde

Seit Corona am Horizont auftauchte, ist die christliche Botschaft gefühlt auf drei Worte zusammengezurrt: „Fürchtet euch nicht“ schallt es von Kanzeln, Plakaten, Weihnachtsgrüßen und so weiter. Mit anschwellender Frequenz jetzt kurz vor Weihnachten, weil „Fürchtet euch nicht“ ist ja ein Zitat aus der Weihnachtsgeschichte. Der Engel sagt es zu den Hirt:innen in Bethlehem, bevor er ihnen mitteilt, dass der Heiland geboren ist.

Hier drei Dinge, die ich an dem inflationären Gebrauch von „Fürchtet euch nicht“ problematisch finde:

Erstens: Er stellt sich nicht der Verantwortung für christliches Superspreadertum. Ich habe schon im Juni in einem Essay aufgeschrieben, warum ich diesen Appell in Bezug auf Corona für problematisch halte. Natürlich ist er nicht ganz falsch. Es ist nie eine gute Idee, sich einfach nur zu fürchten und sich in der eigenen Angst einzugraben. Aber es ist nun mal auch eine Tatsache, dass das Christentum – nicht unbedingt hier in Deutschland, aber weltweit gesehen schon – mit seinen demonstrativ „furchtlosen“ trotz Virus durchgezogenen Massenveranstaltungen und seinem lautstarken Lobbyismus für religöse Extrawürste ein maximaler Infektionstreiber gewesen ist. Hier hätte ich mir ehrlich gesagt ein bisschen mehr Demut und Selbstkritik seitens der Kirchen gewünscht, statt einfach nur den (außerdem latent rassistischen) Hinweis, das wären doch nur die Kirchen anderswo auf der Welt und die Evangelikalen und die Fundamentalisten.

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Zweitens: Es bleibt in vielen Fällen eine leere Behauptung ohne missionarische Kraft. „Fürchtet euch nicht“ ist für sich genommen keine Botschaft, wenn man nicht dazu sagt, warum man sich nicht fürchten soll. Wenn ein Kind sich im Dunkeln fürchtet, weil es glaubt, unterm Bett sitzt ein Monster, dann kann ich ihm sagen: „Fürchte dich nicht, denn da ist gar kein Monster“. Dann können wir das Licht anmachen und unters Bett schauen. Was ist aber die Begründung für das christliche „Fürchtet euch nicht“- Mantra in der Corona-Krise? Das bleibt allzu oft nebulös. Die Versicherung „Denn Gott ist bei euch“ sagt nur Menschen was, die sowieso schon an Gott glauben. Für alle anderen ist das nichtssagend. Und auch die theoretisch Gläubigen wüssten vielleicht gerne, was das genau heißt, dass Gott bei uns ist. Denn in Bezug auf Corona sitzt ja tatsächlich ein Monster unterm Bett, wir bilden uns das nicht nur ein. Wenn wir uns trotz vorhandener Gefahr nicht fürchten sollen, muss man das begründen oder irgendwie sonst inhaltlich füllen. Denn sonst bleibt „Fürchtet euch nicht, denn Gott ist bei euch“ einfach nur eine leere Behauptung – und das ist das Gegenteil von überzeugend. (PS: Zumal, wenn man es mit der Tatsache abgleicht, dass wir so etwas zulassen. Da bleibt mir jedes „Fürchtet euch nicht“ im Halse stecken).

Drittens: Ich kann es schon immer nicht leiden, wenn Bibelzitate aus dem Kontext gerissen werden. „Fürchtet euch nicht“ steht in der Bibel ja nicht als allgemeines Bonmot, das man in schwierigen Zeiten aus der Schublade holen soll, sondern in einem ganz bestimmten Kontext. Ich zitiere kurz das Lukasevangelium, Kapitel 2, Vers 8ff: Es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Feld, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, der Engel Gottes trat zu ihnen, und die Klarheit Gottes leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus. Das heißt, der Engel sagt „Fürchtet euch nicht“ zu den Hirten, die sich vor ihm fürchten, weil er ein außerordentliches Phänomen ist und vielleicht wegen der „Klarheit Gottes“ irgendwie furchteinflößend aussieht. Die Hirt:innen sind ansonsten in keiner besonders angstmachenden Situation, sie haben keine Corona-Pandemie und auch keine weiteren Probleme, von denen hier berichtet wird. Ganz klar ist der Engel die Quelle ihrer Furcht, und ganz klar bezieht sich sein „Fürchtet euch nicht“ darauf, dass sie vor ihm keine Angst haben müssen, denn er hat keineswegs vor, ihnen was anzutun, sondern verkündet eben nur die Geburt des Erlösers. Wenn man dieses Zitat aus dem Kontext reißt und für jede X-beliebige Situation als Passepartout einsetzt, um den Leuten zu sagen: „Egal was ist, fürchtet euch nicht“ hat man meiner Meinung nach die biblische Botschaft einfach nur für sich selber instrumentalisiert.

Dieser dritte Punkt ist vielleicht der wichtigste, weil diese Praxis, kleine bis kleinste Textfetzen aus der Bibel herauszunehmen und frei darüber zu assoziieren, wirklich eine Unsitte ist. Kirchliche Stellungnahmen sind gespickt mit Bibelzitaten, und die kommen da keineswegs hinein, weil die Leute, die sie schreiben, durch die Bibellektüre zu ihren Ansichten gekommen sind, sondern weil sie umgedreht hinterher passende Bibelfetzen für ihre Ansichten gesucht haben. Das Extrembeispiel ist sowas wie das Kirchentagsmotto „Schaut hin!“, das ja nun eigentlich wirklich fast schon wie eine Satire auf Bibelzitate wirkt. Vielleicht habe ich auch deshalb jetzt auf dieses inflationäre „Fürchtet euch nicht“-Zitiere reagiert, weil mich dieses Bibelausschlachten nach passenden Zitaten schon sehr lange ärgert. Ich halte es für einen wesentlichen Grund, warum die Kirchen so wenig missionarische Kraft haben heute, denn wenn die Leute sehen, dass die Kirchenleute selbst ihre Heiligen Schriften nicht wirklich ernst nehmen, wie sollen sie dann davon überzeugt werden können?

Wäre ich Päpstin würde ich meinen professionellen Verkündiger:innen zur Auflage machen, die nächsten fünf Jahre die christliche Botschaft zu predigen, ohne ein einziges Bibelzitat zu verwenden, und außerdem würde ich eine Liste von Buzzwords dazu legen, die sie ebenfalls nicht verwenden dürfen.

5 Antworten auf „Drei Gründe, warum ich „Fürchtet euch nicht“ als Botschaft problematisch finde

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  1. Wenn ich an die diversen Predigten etc – katholisch wie evangelisch – denke, die ich über die Jahre gehört habe oder auch gelesen, dann bin ich dafür, NUR NOCH DEN BIBELTEXT zu verwenden, ohne dass jemand ihren oder seinen Senf dazu gibt. Zudem geht es doch drum, das Evangelium zu verkörpern (to realize= verstehen und verwirklichen) und nicht nur drüber zu reden, was sich halt so „verkündigen“ nennt.

    1. Liebe Ursula, ja, das könnte auch eine Möglichkeit sein, da bin ich einverstanden. Das Problem ist vermutlich, wenn beides vermischt wird. Allerdings könnte ich mir vorstellen, dass dann das Evangelium auch ausstirbt, weil es irgendwann niemand mehr versteht. Sprache wird ja im Lauf der Zeit immer unverständlicher, wenn man sie konserviert, weil sie sich immer weiter vom Alltagssprechen entfernt. Aber einen Versuch wäre es wert 🙂

  2. Ein großes Problem ist es auch, wie die Kirchenaustritte heute interpretiert werden. Texte aus der Bibel werden aus ihren Zusammenhang gerissen. ja. Aber noch viel problematischer finde ich folgendes: Nein, nicht die Kirchensteuern, nein nicht die Missbrauchs Skandale und auch nicht die Diskriminierung von Frauen in der Kirche: Viele Menschen glauben schlicht nicht mehr an Gott. Ein neuer Begriff von Gott tut not.

  3. Diese Gedanken finde ich richtig gut. Erlebe in meinem Umfeld auch hin und wieder die „Wir brauchen aber noch ein passendes Bibelzitat“-Suche. Besonders gefällt mir, dass es im Text um ein positives Bibel-Zitat geht, denn üblicherweise bezieht sich die Kritik am Bibel-Schnipseln nur auf negative Aussagen, z. B. um homophobe Haltungen zu begründen.

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