An diesem Wochenende fand die feministisch theologische Sommerakademie statt, und es ging um Maria Magdalena. Über sie habe ich ja schon häufiger geschrieben, nämlich: einen Vortrag von 2009, einen Blogpost Der Mythos von Maria Magdalena und die Rezension des großartigen Buches von Silke Petersen über Maria Magdalena. Jetzt gab es wieder einige neue Erkenntnisse, die ich hier ergänzend notieren möchte. Sie basieren auf drei Vorträgen, die wir hörten, und zwar von Luzia Sutter Rehman, Professorin für Neues Testament in Basel, erneut Silke Petersen, die Professorin für Neues Testament in Hamburg ist, und Dr. Andrea Taschl-Erber, Vizerektorin für religiöse Bildung und Interreligiösen Dialog in Wien/Krems.

Erstens: Zum Namen Maria. Dieser Name Maria war in der Zeitperiode zwischen 63 v. Chr. (dem Beginn der römischen Besetzung Palästinas) und der Niederschlagung des Bar Kochba-Aufstands (135 n. Chr) der mit Abstand meistverwendete Frauenname unter der jüdischen Bevölkerung – vorher und nachher nicht. Höchstwahrscheinlich wollten Eltern damit an die Prophetin Mirjam erinnern, die das Volk Israel zusammen mit ihrem Bruder Moses aus der Versklavung in Ägypten in die Freiheit nach Palästina führte. Also kann das wohl als Kritik an der römischen Besatzung interpretiert werden.
Zweitens: Magdala war eine urbane Hafenstadt am See Genezareth am Kreuzungspunkt von zwei wichtigen Handelslinien. Im Jahr 67 n. Chr. hat römisches Militär die Stadt erobert und ein Massaker unter der Bevölkerung angerichtet. Tausend Leute wurden auf der Flucht über den See getötet, über tausend Alte und Kranke getötet, rund 6000 Erwachsene und Kinder versklavt oder in die Sklaverei verkauft. Das Wort „Magdala“ bedeutet außerdem Turm/Festung. Es gibt die Ansicht, dass diese Anspielungen für die Verfasser:innen des Markus-Evangeliums anklingen, wenn von „Maria Magdalena“ die Rede ist. Ob die Figur der Maria Magdalena historisch oder fiktiv ist, weiß man nicht (genauso wenig wie man das über einige der anderen Jünger oder sonstige Figuren der Evangelien weiß). Ihre früheste Erwähnung ist im Markusevangelium, das im Jahr 70 verfasst wurde, also praktisch unmittelbar nach dem Massaker von Magdala. In früheren christlichen Texten (etwa in den Paulusbriefen) wird Maria Magdalena nicht erwähnt. Außerdem auffällig: Alle Orte, an denen Jesus im Markusevangelium wirkt, wurden besonders von der römischen Besatzung gebeutelt.
Drittens: Im Markusevangelium wird erwähnt, dass die von Maria Magdalena angeführte Gruppe von Frauen „von Ferne“ der Kreuzigung zuschauen. Von ihnen wird gesagt, sie seien aus Galiläa mit Jesus nach Jerusalem gekommen. Die Kreuzigung war eine sehr häufige und gewaltsame römische Hinrichtungsart und bedeutete nicht nur das Töten eines Verbrechers, sondern sollte immer auch die Familien, Angehörigen und Freundinnenkreise/Anhängerschaften mit treffen. Es war ausdrücklich verboten, um einen Gekreuzigten zu trauern, und es gibt Quellen, nach denen Menschen hingerichtet wurden, weil sie um einen Gekreuzigten getrauert haben. Kreuzigung war also nicht nur individuelle sondern gewissermaßen auch eine soziale/kollektive Strafe. Das „von Ferne“ Zuschauen der Frauen und ihre Trauer ist selbst sozusagen als politischer Widerstandsakt zu lesen.
Viertens: Die Jüngerin/Apostelin Maria Magdalena ist bekanntlich später in der Traditionsgeschichte mit anderen biblischen Frauen verschmolzen worden: mit Maria von Bethanien (der Schwester von Martha und Lazarus), mit der Frau, die Jesus salbte, mit der Ehebrecherin, die Jesus vor der Steinigung rettete. Was ich nicht wusste war, dass noch eine weitere antike Maria dazu gehört, und zwar eine ägyptische Maria, die als Eremitin lebte und keine Kleidung hatte, sondern ihren Leib mit ihren Haaren bedeckte. Maria Magdalena wird oft mit Haaren dargestellt, die den ganzen Körper verhüllen. Ansonsten ist das Töpfchen mit dem Salböl ihr „Erkennungszeichen“ in der christlichen Kunst.
Fünftens: Papst Gregor, der die Verschmelzung von Apostelin und Büßerin in der Figur „Maria Magdalena“ 591 maßgeblich vorangetrieben hat, ist nur so halb ein „Böser“. Denn immerhin hat er Maria Magdalena damals als allgemeines Vorbild, also nicht nur für Frauen, sondern für alle Christinnen und Christen etabliert, um die Bedeutung von Buße und Umkehr zu betonen. Die Verknüpfung der Büßerin als christliches Vorbild wiederum mit der Ehebrecherin und damit die weibliche Konnotierung dieser Figur, ihre Sexualisierung und später in der Malerei auch Erotisierung und Pornografisierung, kam erst später.
Sechstens: Noch einmal zur Frage der erotischen Beziehung zwischen Jesus und Maria Magdalena, die Dan Brown in seinem Da Vinci-Code spekuliert. Eine der Hauptbelege dabei ist eine Stelle aus einem apokryphen Evangelium, wonach Jesus Maria auf den Mund geküsst habe. Allerdings war das Auf-den-Mund Küssen in der Antike eine verbreitete Begrüßungsgeste, ähnlich wie heute Händeschütteln. Vielleicht schütteln wir irgendwann ja keine Hände mehr, genauso wie die Antiken irgendwann mit dem Mundküssen aufgehört haben. Jedenfalls lässt sich aus dem Mundkuss (der ja auch zwischen Judas und Jesus stattfand) kein Hinweis auf eine romantische oder sexuelle Beziehung ableiten. Vermutlich soll damit im Fall von Jesus und Maria Magdalena eher die Übertragung von spirituellen oder religiösen Erkenntnissen symbolisiert werden.
Siebtens: Noch eine Information zu der Vermännlichung Maria Magdalenas in einem apokryphen Evangelium (die auch eine Szene in unserem Feminismus-Comic ist). Jesus widerspricht in diesem Text den Jüngern und besonders Petrus, die Maria Magdalena aus dem Kreis der Jüngerschaft ausschließen wollen, weil sie eine Frau ist. Hierauf antwortet Jesus, dass Maria „vermännlicht“ sei und dass alle Frauen, die sich auf dieselbe Weise vermännlichen, in den Kreis aufsteigen können. Als Frau ist das natürlich nicht nice zu lesen, aber mich hat an dieser Stelle nochmal der Hinweis darauf überzeugt, dass die Frage einer eventuellen Gleichrangigkeit oder Komplementarität der Geschlechter, wie wir das (etwa seit der Romantik) gewohnt sind, in der Antike absolut nicht vorstellbar war. Es galt als selbstverständlich, dass Frauen eine minderwertige Version des Menschen darstellen. Insofern ist die Vermännlichung Maria Magdalenas aus einer antiken Perspektive eindeutig eine Verbesserung ihrer Lage, quasi ein „Upgrade“, wie Silke Petersen es formulierte. Die Möglichkeit, Maria als Frau und in ihrem Frausein den männlichen Jüngern gleichwertig beizugesellen, war damals schlicht unvorstellbar und war deshalb auch für Jesus in dieser (fiktiven) Situation keine Option. Es wäre ansonsten eine Story geworden, die eine so absurde Wendung nimmt, dass niemand das für plausibel hält.
Achtens: Noch einmal zur verschiedenen Rolle von Maria Magdalena in den unterschiedlichen Evangelien. Bei Markus (und Matthäus) wird sie erwähnt als Zeugin der Kreuzigung und der Auferstehung, als Anführerin einer Gruppe von Jüngerinnen, ein bisschen analog zur Rolle des Petrus als Anführerin der Gruppe der männlichen Jünger. Bei Lukas wird Maria Magdalena schon vorher erwähnt, also auf dem Weg nach Jerusalem, allerdings „zurückgestuft“ auf die Funktion einer Unterstützerin – vielleicht weil Lukas mehr den Gemeindeaufbau und die Notwendigkeit von weiblichem Sponsoring im Blick hatte. Bei Johannes schließlich wird Maria Magdalena als eine dargestellt, die die Verbindung herstellt zwischen der Wanderung nach Galiläa, der Kreuzigung, dem leeren Grab, der Auferstehung und schließlich den Jünger:innen, denen sie die Auferstehung verkündigt – also gewissermaßen als Gemeindebegründerin. Bei ihrem Gespräch mit dem Auferstandenen, der berühmten „noli me tangere“-Szene (was übrigens nicht als „Berühre mich nicht“ sondern als „ Halt mich nicht fest“ zu übersetzen ist) bezeichnet Jesus seine Anhänger:innen erstmals als „Geschwister“ und umreißt damit eine von ihm gewünschte Beziehungsweise für die Zukunft. Während die synoptischen Evangelien, und vor allen Dingen Lukas, Petrus und die Jünger ins Zentrum der Erzählung stellen, ist die Gründung der neuen Gemeinde bei Johannes auf deutlich mehr Schultern verteilt – insbesondere auch auf den „Jünger, den Jesus liebte“ (Johannes) und Maria Magdalena.
Interessant – und mit einer Ausnahme auch ganz galubwürdig: dass Du allerdings Jesus im Handeln Rücksicht auf die Haltung seiner Mitmänner zugestehst, für die „Maria als Frau und in ihrem Frausein den männlichen Jüngern gleichwertig beizugesellen, war damals schlicht unvorstellbar und war deshalb auch für Jesus in dieser (fiktiven) Situation keine Option.“ galt, ist für jemanden, der zur anderen Zeiten übers Wasser lief, Tote erweckte und Ohren anklebte, nicht so richtig schlüssig …
Ich glaube, Wundergeschichten galten damals als was relativ Normales.
Zitat:
„Maria als Frau und in ihrem Frausein den männlichen Jüngern gleichwertig beizugesellen, war damals schlicht unvorstellbar und war deshalb auch für Jesus in dieser (fiktiven) Situation keine Option.“
… für mich ist absolut undenkbar und vorstellbar,
dass das Geleichstellen von Maria den Männern gegebüber, für Jesus keine Option war ….
Und in der (rön.kath.) ist es doch bis heute noch so. Das die Frauen nicht gleichgestellt – sprich gleich-WERTIG sind oder sein dürfen….
Liebe herzliche Grüße und Segen!
M.M.