Offene Frage: Was soll das heißen, Gott ist bei uns?

Nach dem Weihnachtsfest bleibt für mich noch eine offene Frage: Was muss man sich darunter vorstellen, dass „Gott bei uns ist“?

Nach dem inflationären „Fürchtet euch nicht“, über das ich hier schon schrieb, war „Gott bei uns“ der zweithäufigste Textbaustein in kirchlichen Verlautbarungen und Predigten in diesem Jahr. Aber es wurde selten versucht, zu erklären, was das bedeutet. Bei mir entstand in vielen Fällen zudem der Eindruck, auch die Predigenden selbst wüssten nicht so genau, was das eigentlich bedeuten soll. Und je unklarer das war, umso häufiger wurde der Satz wiederholt, fast wie eine Art magisches Mantra, das aus dem Mund eines Priesters herauskommen muss, damit das rituelle Weihnachtsding Gültigkeit bekommt.

Gott ist bei uns.

Darunter kann man sich so ungefähr alles vorstellen, aber man kann sich auch nichts darunter vorstellen. Und ich fürchte, dass die allermeisten Leute heutzutage sich genau das darunter vorstellen: nichts.

Es ist nicht besonders sinnvoll, einer Gesellschaft, in der das Wort „Gott“ nicht zum alltäglichen symbolischen Repertoire gehört, in der also unter normalen Umständen nicht von Gott gesprochen oder auf Gott Bezug genommen wird, gebetsmühlenartig (haha) zu behaupten, dass dieses Ding namens „Gott“ bei uns wäre. Wenn man nicht weiß, was Gott ist, ist dieser Satz so sinnlos wie die Behauptung, der orangene Knorzi wäre bei uns.

Ich gebe zu, in manchen Predigten kamen Erklärungsversuche vor, aber die haben es eher noch schlimmer gemacht. Zum Beispiel wurde manchmal das Bei-uns-Sein Gottes damit umschrieben, dass wir, Ja, in einer schlimmen Situation sind zurzeit, aber dass es immer auch irgendwann wieder besser wird. Das Licht am Ende des Tunnels, die Kerze in der Dunkelheit. Aber das ist erstens eine Binse, für die man kein Weihnachten braucht, und zweitens finde ich es auch etwas zynisch. Denn wie kommt sowas bei Leuten an, denen es grade so richtig Scheiße geht, und zwar auf eine Weise, wo es nicht mehr besser gehen wird? Ich weiß, wie diese oft gedankenlos dahergesagte Zusage, dass es irgendwann schon wieder besser geht (weil die Zeit heilt ja alle Wunden) auf Menschen wirkt, die zum Beispiel gerade einen geliebten Menschen verloren haben. Nein, das wird eben nicht wieder besser, und, jedenfalls nach meinem Verständnis, bedeutet „Gott ist bei euch“ genau das nicht: das Vertrösten. Sondern das Trösten, obwohl es vielleicht nicht mehr besser wird.

Also: Häufig erschien mir die Floskel „Gott ist bei uns“ wie das religiöse Äquivalent zum Klatschen für Pflegekräfte: billig für die, die es spenden, eine Zumutung für die Adressaten. Die etwas Substanzielleres bräuchten. Viele Predigten wirkten auf mich so, als seien sie an ein wohl situiertes bürgerliches Publikum gerichtet. An Leute, die zwar grade etwas down sind, weil die Enkel nicht zu Weihnachten kommen konnten oder Corona ihnen den Skiurlaub verhagelt hat, aber, Yo, Gott ist bei euch, nächstes Jahr wird es wieder.

Was aber heißt es, dass Gott bei uns ist, egal ob es wieder besser wird oder nicht?

Was bedeutet es, dass Gott bei den frierenden und von Ratten angenagten Kindern in den Flüchtlingslagern ist? Was bedeutet es, dass Gott bei uns Europäer:innen ist, die wir uns trotz all unseres Reichtums nicht aufraffen können, ihnen zu helfen? Nicht einmal den Kindern? Was bedeutet, dass Gott bei uns ist, während wir bei der Pandemiebekämpfung als Gesellschaft legendär versagen und hunderte von Toten jeden Tag auf dem Gewissen haben? Was macht Gott eigentlich, während sie hier bei uns ist? Schlafen? Sudokus?

Ich weiß es ja auch nicht. Aber solange mir nichts Sinnvolles und Substanzielles dazu einfiele, wie ich die Behauptung, dass Gott bei uns ist, auf eine verständliche Weise verkündigen könnte, ohne mich in Floskeln und Banalitäten zu retten, würde ich den Teufel tun, eine Predigt darüber zu halten.

Apropos Teufel: Besonders interessant war ja die offizielle bundesweite Kampagne der Kirchen, bei der die Botschaft noch einmal von vier auf drei Worte verkürzt wurde: „Gott bei uns“. Das Einsparen des Verbs macht den Satz noch schwammiger. Aus der Behauptung, dass Gott bei uns ist (was immerhin eine Aussage ist), wird die vage Idee, dass Gott und wir möglicherweise etwas miteinander zu tun haben könnten, das aber eventuell auch nur ein frommer Wunsch sein könnte und ach.

Ist Gott bei uns? Oder wünschen wir uns vielleicht auch nur, dass Gott bei uns sein möge? So recht wissen wir doch auch nicht, was wir hier verkündigen wollen, aber irgendwie muss das Wort Gott halt drin vorkommen, weil das war doch irgendwie schon immer so oder?

Die Formel „Gott bei uns“, schnell gesprochen und mit Bekreuzigung, wird übrigens in manchen Regionen als Synonym für den Teufel benutzt.

„Fürchtet euch nicht! Teufel!“ (ich stelle mir vor, dass Gott gerade lacht).

Das mit dem Teufel passt nämlich, wenn damit Gottferne gemeint ist. Denn die heute so weit verbreitete Art, von Gott zu sprechen, treibt Menschen weg von Gott. Wer das Wort Gott in einer säkularen Gesellschaft ohne Erklärung oder Vermittlung verwendet, schließt alle aus, die sich darunter nichts vorstellen können. Wer nicht weiß, was Gott sein soll, fühlt sich unweigerlich als nicht dazugehörig, als nicht gemeint und angesprochen. Das Christentum präsentiert sich heute als Community von Leuten, die in einer Sprache sprechen, die außer ihnen niemand versteht und, da sie nicht vermittelt und übersetzt wird, offenbar auch niemand verstehen soll. Die Eingeweihten wiederum vermitteln nach außen den Eindruck sie wüssten, wovon die Rede ist Ja ja, nicken sie mit den Köpfen, Gott ist bei uns. So ähnlich wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: kollektive Simulation.

Der Auftrag der Verkündigung bedeutet nicht, dass wir beim Reden möglichst oft das Wort Gott verwenden sollen. Er bedeutet, dass wir die Botschaft des Evangeliums verkündigen sollen, und das heißt: Die Leute müssen verstehen, was wir sagen. Als Journalistin habe ich gelernt, dass ich Wörter, deren Kenntnis ich bei der Leserin oder beim Leser nicht voraussetzen kann, umschreiben, erklären, durch andere ersetzen muss.

Genau das gilt unbedingt auch für den Verkündigungsauftrag. Eine Kirche, die Abrakadabra auf die Menschen niederprasseln lässt, kann nichts bezeugen.

8 Antworten auf „Offene Frage: Was soll das heißen, Gott ist bei uns?

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    1. @Johannes – naja, es ist halt eine Behauptung. Niemand ist alleine – was bedeutet dieser Satz angesichts der Tatsache, dass es offensichtlich Menschen gibt, die sehr alleine sind. Predigt würde für mich bedeuten, dazu etwas zu sagen das für die Zuhörenden relevant ist und Sinn ergibt, anstatt einfach nur zu behaupten, niemand wäre allein. Denn viele Menschen erwidern darauf eben „Doch!“, und sie haben recht.

      1. Oh alleine sein gibt es nicht , es gibt nur ein Alleinsein FÜHLEN. Und massenhaft Menschen FÜHLEN sich bei Gott geborgen, ein Taize Lied handelt davon.

        Jetzt kannst du dagegenhalten das die sich täuschen aber was ist das für ein Argument? Du bist dann in der Position die Gefühle anderer Menschen als falsch zu deklarieren (ich mein sie fühlen sich halt geborgen was willst du dagegen sagen?)

  1. Vielleicht ist in Hinblick auf deine Frage dieser Artikel ganz hilfreich: Gott, der ganz Andere.
    Karl Barths Neujustierung der Theologie im 20. Jahrhundert https://www.evangelische-aspekte.de/gott-der-ganz-andere/
    „… er (Barth) sieht sich v.a. von dem desaströsen Zustand des Gottesverständnisses bei denjenigen provoziert, die sich ausdrücklich auf Gott berufen.“
    Außerdem erinnert mich das fatal an den Ausspruch „Gott mit uns“!

  2. Starkes Zitat aus:
    Offene Frage: Was soll das heißen, Gott ist bei uns? Von Antje Schrupp
    „Wer das Wort Gott in einer säkularen Gesellschaft ohne Erklärung oder Vermittlung verwendet, schließt alle aus, die sich darunter nichts vorstellen können. Wer nicht weiß, was Gott sein soll, fühlt sich unweigerlich als nicht dazugehörig, als nicht gemeint und angesprochen. Das Christentum präsentiert sich heute als Community von Leuten, die in einer Sprache sprechen, die außer ihnen niemand versteht und, da sie nicht vermittelt und übersetzt wird, offenbar auch niemand verstehen soll. Die Eingeweihten wiederum vermitteln nach außen den Eindruck sie wüssten, wovon die Rede ist Ja ja, nicken sie mit den Köpfen, Gott ist bei uns. So ähnlich wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: kollektive Simulation…“
    Meine Überlegungen dazu:
    Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittag eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie… (Nietzsche)

    „Gott ist bei uns.“
    Nun, das ist schlicht ein Versuch einer Antiprofilierung gegen eine Theologie, in der Gott auf Wolke Nr7 (incl. Theismus) schwebt oder erst am (bitterschönen) Ende für uns da ist.
    Dennoch teile ich die Notwendigkeit der Umwandlung:
    Erste Transformation des“!“ In ein „?“
    Ist er/sie? Wer mir sagt, wo Er/Sie nicht ist, bekommt 5 Euro!
    Zweite Transformation, weg von der Vereinnahmung.
    „Gott ist bei mir“ so beschreibt es eine persönliche religiöse Erfahrung.
    Dritte Transformation:
    Das Leben ist bei mir. Ich bin lebendig. Erfüllt von Kraft zum Leben.
    Vierte Transformation:
    „Gott“ ist eine Chiffre für das Von-Woher meiner Freiheit, meiner Lebendigkeit, meines Suchens und Fragens, meines Ichs (Gal 2,20), meiner Resonanzerfahrungen…

  3. Die Sprache der Kirche ist eine abgestumpfte, stark verstaubte Sprache, die der Institutionalisierung zum Opfer gefallen ist. Ihr fehlt jegliche Spiritualität. Spiritualität ist stets lebendig und wird trocken und spröde, ist sie erstmal institutionalisiert. Viele Geistliche üben einen Beruf aus und sind Sachwalter einer sinnentleerten Sprache, die den Gegenwartsmenschen nicht mehr erreicht.
    Dabei ist der Gruss Adieu (Ad deum – Gott mit Dir) ein sehr lieber und positiver Wunsch, der ja den anderen in einem Nimbus des Schutzes hüllen soll. Schutz, den der Mensch in Guten wie in schlechten Tagen braucht. Eine Art Kraft der Aufmerksamkeit, der Wachheit, des klaren Bewusstseins, der Zuversicht und Hoffnung und der Fähigkeit mit Gott auf seine Weise zu kommunizieren. Wer das kann, hat Gott bei sich, wie den geliebten Verstorbenen, den man immer im Herzen hat, den Geliebten, der in der Ferne lebt. Das nur deshalb, weil man ihm einen Platz in seinem Bewusstsein einräumt. Das kann Stärke erzeugen und heilsame Resonanzen. Ein guter Nimbus des Schutzes wird da als Gruss entlassen für die anderen, ein lieber Wunsch und lieber Brauch. Aber wie sollten wir diesen Gruss für die Neuzeit übersetzten, wo er doch nur noch wie ein Wort klingt, das keine Resonanzen mehr anschlagen kann?

  4. „Die Sprache der Kirche ist eine abgestumpfte, stark verstaubte Sprache, die der Institutionalisierung zum Opfer gefallen ist. Ihr fehlt jegliche Spiritualität.“

    Wie die der Politiker. Man verdient gut in dem Job. Mit Jesus hat das alles nichts zu tun.
    Jesus war Tischlermeister und lebte durch die Hände seiner Arbeit.

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