Fünf Gründe, warum die evangelische Kirche auch nicht besser ist als die katholische

Sicher ist es gut und wichtig, dass es in der evangelischen Kirche wenigstens Pfarrerinnen gibt. Aber zu feministischem Jubel besteht auch hier kein Anlass.

Erstens: Gott ist immer noch männlich

Die monotheistischen Religionen sind aufgrund ihrer Geschichte patriarchal geprägt. Das größte Problem daran ist nicht der Ausschluss von Frauen aus dem Klerus, sondern dass das auch auf das Gottesbild abgefärbt hat: Von Gott wird fast immer mit männlichem Pronomen und in männlichen Metaphern und Bildern gesprochen, im Christentum noch mehr als im Judentum oder im Islam. Jahrhundertelang wurde Gott als alter Mann mit weißem Bart abgebildet! Bis heute dominiert dieses „Image“ jede Google-Bildersuche zu Gott. Und gerade eben erschien eine neue evangelische Basisbibel in Hunderttausender Auflage, die den Gottesnamen durchgängig als „Der HERR“ übersetzt.

Kritik daran formulieren Theologinnen seit langem, aber genützt hat es bisher kaum etwas. Zwar herrscht heute allgemein Einigkeit darüber, dass Gott – selbstverständlich – kein Mann ist, sondern geschlechtsneutral oder geschlechtslos gedacht werden muss. Aber wenn es konkret wird, ist trotzdem wieder von „Vater“ oder „Herr“ die Rede, in evangelischen Gottesdiensten genauso wie in katholischen. Ein bisschen mehr Abwechslung wäre nett. Schließlich gibt es in der Bibel genug weibliche Umschreibungen der Ewigen, von der Adlermutter über die Geistkraft bis zur Hebamme. Und nichts spricht dagegen, Gott öfter mal mit weiblichen Pronomen anzusprechen.

Zweitens: Die Gleichberechtigung ist nichts, worauf die Kirche stolz sein kann

Zuweilen wird der Eindruck erweckt, die Gleichberechtigung von Pfarrerinnen wäre ein Verdienst der evangelischen Kirche und die Emanzipation liege irgendwie im Wesen des Protestantismus begründet. Dabei wird leider vergessen, gegen wie viel Widerstand die Gleichberechtigung erkämpft werden musste. Wenn man ehrlich ist, waren es meist nur einzelne Frauen oder kleine Gruppen, die sich dafür eingesetzt haben. Gegenwind bekamen sie dabei übrigens nicht nur von Kirchenleitungen und Männern, sondern auch von den überwiegend sehr konservativen evangelischen Frauenverbänden.

Aus sich heraus ist der Protestantismus nicht „emanzipatorischer“ als der Katholizismus. Der Unterschied besteht nur darin, dass die Gleichberechtigung der Katholikinnen bis heute von Rom verhindert wird, während die der Protestantinnen im 20. Jahrhundert von säkularen Emanzipationsprozessen befördert wurde – die evangelische Kirche in Deutschland war schließlich eine Staatskirche. Ein bisschen Selbstkritik beim Umgang mit der eigenen Geschichte wäre da angebracht.

Drittens: Angst vor einer „Feminisierung“

Die Anwesenheit von Frauen im Pfarramt hat in den zurückliegenden Jahrzehnten das evangelische Amtsverständnis verändert, und das ist sehr gut so: Pfarrpersonen werden nicht mehr aufgrund einer institutionellen „Autorität“ geachtet, sondern aufgrund ihrer individuellen Persönlichkeit (oder aus demselben Gründen eben auch nicht). Pfarrerinnen haben außerdem dafür gesorgt, dass Hierarchien innerhalb von Gemeinden abgebaut wurden und die Vorstellung von „Geistlichkeit“ sich gewandelt hat.

Aber es ist keineswegs so, dass diese Veränderungen allgemein beklatscht würden. 2011 beklagte der Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf angesichts einer wachsenden Zahl von Pfarrerinnen, dass in evangelischen Gemeinden zunehmend „kleinbürgerliche Muttitypen“ unterwegs seien anstatt „wirklich Intellektueller“. Sein Lamento ging viral; offensichtlich traf es einen Nerv. Seither geht das Drohgespenst von der „Feminisierung der Kirche“ um, und nicht wenige Evangelische schielen mit heimlichem Neid auf die katholische Kirche, wo Priester noch richtige Kerle zu sein scheinen. Dabei genügt doch ein Blick auf die Politik, um zu sehen: Feminisierung ist etwas Gutes!

Viertens: Es gibt zu wenig Feminismus

Radikaler, kirchenkritischer Feminismus hat es in der evangelischen Kirche mindestens so schwer wie in der katholischen. Eine weit verbreitete Ansicht lautet: „Bei uns herrscht schon so lange Gleichberechtigung, da ist Feminismus längst überflüssig!“ Auf diese Weise wird nicht nur geredet, sondern auch gehandelt: Viele der ambitionierten feministischen Projekte, die in der evangelischen Kirche nach dem großen frauenbewegten Aufbruch der 1980er Jahre entstanden waren, sind inzwischen wieder der einen oder anderen Sparrunde zum Opfer gefallen. Letzter Klops: Die Abschaffung des Zentrums Frauen und Männer der EKD in Hannover. Begründet wurde der (nicht offiziell, aber dokumentiert) mit zu großer Eigenwilligkeit der Frauenverbände. Nein, es ist nicht immer nur Geldmangel schuld, wenn feministische Projekte gestrichen werden.

Seit einigen Jahren ist Feminismus gesellschaftlich wieder im Trend. Debatten wie #metoo und andere füllen die Medien, es sind unzählige feministische Netzwerke, Projekte, Bewegungen entstanden, die gerade auch von jüngeren Menschen getragen werden. Aber an der Kirche geht das völlig vorbei. Dort scheint das Thema irgendwie aus der Mode; auch in den zwölf Leitsätzen der EKD zur Zukunft der Kirche kommen Worte wie „Feminismus“ oder „Frau“, aber auch „Geschlecht“ oder „Gender“ überhaupt nicht vor. In dieser Hinsicht haben es die katholischen Kolleginnen besser: Dort ist wenigstens allen klar, dass sich das Thema noch nicht erledigt hat.

Fünftens: Die Kirche hat Frauen wenig zu bieten

Frauen kehren der evangelischen Kirche genauso den Rücken wie der katholischen. Tatsächlich tritt auch die evangelische Kirche in feministischen Debatten eher negativ in Erscheinung. Zum Beispiel, wenn der evangelische Gesundheitskonzern Agaplesion kommunale Krankenhäuser aufkauft und dort dann keine Abtreibungen mehr stattfinden können. Das Thema der reproduktiven Selbstbestimmung steht seit den Debatten über den §219a, der ärztliche Informationen über Schwangerschaften unter Strafe stellt, weit oben auf der Agenda vieler Frauen. Die traditionelle evangelische Haltung ist dabei von Paternalismus geprägt – man will es nicht so prinzipienhaft sehen wie die katholische Kirche, aber mehr als Barmherzigkeit und mal ein Auge zudrücken für die armen ungewollt Schwangeren ist nicht drin. Oder, wie es die EKD-Vorsitzende Annette Kurschus Ende 2021 im Interview mit der FAZ formulierte: „In aller eindeutigen Option für das Leben geht es darum, auch existenzielle Konflikte, die im Leben entstehen, ernst zu nehmen.“ Im Grundsatz ist auch aus evangelischer Sicht Abtreibung Sünde und abzulehnen.

Was bedeutet Jesu Botschaft von der Erlösung der Menschen für Frauen in ihren heutigen Lebensumständen? Inwiefern hat der christliche Glaube konkret etwas beizutragen angesichts von Klimanotstand, Care-Krise, sexualisierter Gewalt oder prekären Lebensverhältnissen? Auf solche Fragen substanzielle Antworten zu geben und darüber in einen gesellschaftlichen Dialog zu treten – das wäre ein interessantes Vorhaben. Und bestimmt zukunftsträchtiger als die nächste innerkirchliche Strukturdebatte.

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