Die Einheit des Christentums…

…wird nicht durch Einigkeit entstehen.

Das habe ich mir heute gedacht. Mit einer Freundin sprach ich darüber, warum Kirchenleute oft so zögerlich sind bei der Kritik an anderen Konfessionen. Und ich glaube, das liegt (abgesehen von strategischer Diplomatie und Konfliktscheuheit, was eh inakzeptable Gründe sind) vor allem an einem falschen Verständnis von „christlicher Einheit“.

Die Logik ist etwa: Wenn wir eine Christenheit sein wollen, müssen wir dann nicht mit einer Stimme sprechen? Müssen wir nicht die Gemeinsamkeiten betonen und nicht die Unterschiede? Und: Sind die internen Angelegenheiten anderer Kirchen und Konfessionen nicht deren interne Angelegenheiten, die uns nichts angehen?

Oder auch: Müssen wir Christen nicht mit einer Stimme sprechen, damit die säkulare Welt uns überhaupt noch hört? Was sollen denn die Ungläubigen von uns halten, wenn wir uns auch noch dauernd untereinander streiten? Wie soll man denn denen klar machen, was genau das Christentum ist und glaubt?

Alles ganz falsch gedacht.

Es gibt keine einheitliche Meinung im Christentum, und es gab sie vom ersten Tag an nicht. Damals wie heute streiten wir uns so gut wie über alles. Es gibt unter dem Label „Christentum“ praktisch jede beliebige politische und sozialkulturelle Ansicht und Praxis.

Wenn wir uns auf einen gemeinsamen Nenner einigen, dann kommt dabei floskelhaftes Wischiwaschi raus, das niemanden interessiert. Natürlich können wir uns auf Formeln wie das Glaubensbekenntnis einigen oder darauf, dass wir an Christus glauben oder an die Auferstehung, dass wir Nächstenliebe praktizieren und die Bibel lesen. Aber diese Bekenntnisse sind eher symbolisch als substanziell. Denn sobald das konkret wird, sobald daraus also irgendwelche Schlussfolgerungen gezogen werden, die im Alltag Relevanz haben, ist es mit der Einigkeit schon wieder vorbei.

Ein gemeinsames Glaubensbekenntnis zu haben oder gemeinsam das Vaterunser zu beten, bedeutet nicht, dass wir alle dasselbe glauben. Es bedeutet, dass wir uns unter ein gemeinsames Dach stellen. Solche überlieferten Texte zu sprechen, ist ein symbolischer Akt (und als solcher wichtig), aber nicht ein gemeinsames inhaltliches Programm.

Alle Versuche, eine inhaltliche Einheit künstlich durch Dogmen herzustellen, durch die Exkommunikation oder Ermordung von Ketzern und Ketzerinnen oder durch abgezirkelte Kanonisierungen, sind gescheitert und werden immer scheitern. Sie bringen mehr Schaden als Gutes und haben das Christentum immer nur diskreditiert, aber nicht gestärkt.

Die Einheit des Christentums ist nichts, was wir herstellen müssten. Sie ist nämlich einfach da, insofern das Christentum (wie alle Religionen vermutlich), eine von Anfang an pluralistische Religon ist. Alles, was sich so nennt, ist das Christentum, ob uns das passt oder nicht. Man darf der Versuchung nicht nachgeben, festlegen zu wollen, was rechtmäßig dazu gehört und was nicht.

Was man allerdings darf, ist debattieren, argumentieren, streiten. Vielleicht überzeugt man ja jemanden. Oder wird überzeugt. Ich fände es wichtig, wenn Christinnen und Christen sich mehr gegenseitig kritisieren, wenn sie mehr miteinander streiten, wenn sie öffentlich aussprechen würden, was sie in den Regelungen und Strukturen der anderen falsch finden und warum.

Wenn sie mehr Mut hätten, ihre vermeintlichen Gewissheiten gegenseitig zu hinterfragen (natürlich gerne auch die eigenen), wenn sie weniger alte Formen nachbeten würden als vielmehr formulieren, und zwar am besten noch in verständlicher Sprache und mit vernünftigen Argumenten, was sie selber heute tatsächlich und wahrhaftig glauben – und was nicht. So könnten sie vielleicht voneinander lernen und sich weiterentwickeln.

Let’s agree to disagree!

Die Einheit des Christentums zeigt sich nicht in Glaubensbekenntnissen und Kanonischen Schriften, sondern ganz einfach darin, was diejenigen, die sich christlich nennen, im Alltag tun. Sind sie anders als andere? Lieben sie zum Beispiel ihre Nächsten oder gar ihre Feinde? Töten sie nicht? Halten sie die andere Wange hin? Teilen sie mit denen, die weniger haben? Schützen sie Flüchtlinge und nehmen sie bei sich auf? Gehorchen sie eher Gott als dem Mammon? Undsoweiter Undsoweiter. Wenn ja, dann ist das schon genug. Wenn nein, dann nützen auch Lippenbekenntnisse nichts.

Das Christentum ist die Summe dessen, was Menschen und Gemeinschaften, die sich so labeln, tun (auch hier vermute ich, dass das für alle Religionen gilt).

In diesem Sinne ist die Kirche eine Einheit von Anfang an. Jede ihrer Untergruppierungen trägt in gewisser Weise auch für das Verantwortung, was andere im Namen der gemeinsamen Religion tun und predigen – gerade deshalb ist ja das Streiten auch ganz unabdingbar. Wenn andere im Namen des Christentums Falsches tun und predigen, dann bin ich dafür mit verantwortlich, solange ich mich ebenfalls unter dieses Dach stelle. Man darf die Irrtümer der Glaubensgeschwister nicht unkommentiert durchgehen lassen, finde ich (was aber natürlich voraussetzt, dass man sich auch selbst der Kritik stellt).

Die Einheit der Kirche entsteht nicht dadurch, dass wir uns einigen, sondern dadurch, dass wir einander ernst nehmen. Und ernst nehmen bedeutet eben auch: Widersprechen, streiten. Die Schiedsrichterin bei diesem Streit ist jedenfalls keine kirchliche Institution, kein einzelner Mensch, keine Gruppe von Menschen, sondern ganz allein Gott.

Keine der vielen christlichen Untergruppierungen kann beanspruchen, im Namen der ganzen Christenheit zu sprechen (oder sie kann es natürlich beanspruchen. Aber es stimmt halt einfach nicht). Und gleichzeitig ist jede einzelne Christin und jeder einzelne Christ mit dem, was sie sagt und tut, dafür verantwortlich, was „das Christentum“ ist.

8 Antworten auf „Die Einheit des Christentums…

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  1. Es geht nicht um Einigkeit, sondern um Einheit, und zwar in der Vielfalt. Mehr ist es nicht, und das ist weit über das Christentum allein hinaus gedacht. Da könnt ihr euch noch so sehr untereinander kloppen, ob ernst genommen oder nicht, es nützt euch alles nichts, weil ihr das wesentliche nicht sehen wollt.

  2. Schöner Text. Könnte man fast 1:1 auch auf Europa übernehmen, da hab ich vor Kurzem eine ganz ähnliche Diskussion geführt. Da heißt es ja auch gerne „Europa muss(!) mit einer Stimme sprechen“ und den Satz finde ich total schrecklich. Wie soll man zu dieser einen allumfassenden Stimme kommen, wenn man vorher nicht diskutiert und streitet? Selbst Christen werden ja nicht alle zugleich vom heiligen Geist beseelt und sind alle derselben Meinung. 🙂 Mal abgesehen, dass verschiedene Stimmen auch mehr Vorteile haben, es ist spannender, regt mehr zum Mitdenken an und hm interaktiver vielleicht.
    Nochmal auf Europa bezogen, anhand der Ukraine-Krise. Putin hatte imo ziemliche Schwierigkeiten damit, alle Widersprüche in seiner Person versammeln zu müssen. Härte, Versöhnungsbereitschaft, Pathos usw. Der „Westen“ konnte das schön verteilen, die USA als Hardliner, Deutschland eher auf Versöhnungskurs, der Rest drumherum. Also ich bin klar pro Vielstimmigkeit, bei jeder größeren gemeinsamen Unternehmung eigentlich.

  3. Zu Pfingsten „hörten sie alle in ihren eigenen Sprachen“.- aber wenns um die Macht (und das Geld) geht, ist es mit der Freude an der Vielfalt vorbei. Braucht Vielfalt nicht auch ein bisschen Anarchie? Andererseits, die (musikalische) Vielstimmigkeit setzt meistens einen Dirigenten voraus…

  4. Zitat,die (musikalische) Vielstimmigkeit setzt meistens einen Dirigenten voraus… Ich würde sagen,nicht nur.Es geht auch fast ohne,indem Frau neue Wegen geht,selber mitspielt,das Soziale innerhalb und ausserhalb der Musikgruppe aufnimmt und auch Hand anlegt bei der Vor-und Nacharbeit.z.B.Mit Bestuhlung,Raumaufteilung und Gestaltung,Elektronik-Einstellen,eintrudeln von Menschen die kommen und dessen Unterhaltung.Und auch das Ueberraschende darf nicht verloren gehen und fehlen.Das „Schäckern“ miteinander ist wichtig.Ich weiss, dies ist eine grosse Herausforderung,aber oh so nötig!

  5. Schöner Artikel, dem ich aber nur bedingt zustimmen kann. Klar, es ist gut, wenn man uns Christen als solche an unserem Tun, unsern Einstellungen erkennt. Aber ganz so falsch ist der Satz „…mehr die Gemeinsamkeiten betonen als die Unterschiede“ nicht, finde ich. In vielen Punkten ist „agree to disagree“ schon mal ein guter Ansatz – wenn man dabei das „agree“ nicht aus dem Blick verliert. Kritik und Auseinandersetzung ja, aber der Respekt und die Sympathie sollte dabei spürbar bleiben.

  6. Schöpfungsmythen – es geht um die Schöpfung von Kultur und nicht um die „Schöpfung von Natur“ – sind geniale metaphorische Beschreibungen der Makroökonomie einer Kultur. Die darin implizit enthaltenen Götter (künstliche Archetypen im kollektiv Unbewussten) bewirken „geistige Beschneidungen von Untertanen“, die in früheren Zeiten, als die Religion (Rückbindung auf künstliche Archetypen) noch eine exakte Wissenschaft und ein wesentlicher Bestandteil der geheimen Staatskunst war, dazu verwendet wurden, um eine größere Anzahl von zuvor in eigenständigen kleinen Dörfern (Urkommunismus) lebenden Menschen (nur bis zu etwa 150 menschliche Individuen können sich alle noch gegenseitig kennen) zu einer übergeordneten, arbeitsteiligen Kultur zusammenzufügen:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/die-ruckkehr-ins-paradies.html

  7. Wir sind noch in der Zeit wo Fussball-WM gespielt,gehört und gesehen wird.Anhand dieses „Spektakel“ möchte ich erwähnen,das die Spielfreude,auch im Allgemeinen,höher zu bewerten ist als die Perfektion.Die Spielfreude ist für sehr viele Menschen offen da,die Perfektion für wenige. Darum finde ich,die Spielfreude ist eine/die Fährte,das Leben untereinander Gestalten/Mitgestalten zu können,eine Notwendigkeit ist, für die jetzige und zukünftige Zeit (eine Brücke).Denn die Perfektion erlebt plötzlich Stillstand und Ermüdung,sobald es stagniert wird es „Eisern“ und kann es zu Schwerten führen.Oder man(n)/Frau haltet den Leerraum mit dieser Erfahrung aus,lässt los,transformiert und kommt zu neue Erfahrungen.Dies allerdings ist nicht „Subito“ zu haben.Das Ueberraschende,um bei den Fussball zu bleiben,ist von den Holländer gekommen die mit Spanien Fussball spielten. Hier war dies sehr gut zu beobachten was ich hier oben beschrieben habe.Die Ueberraschung muss nicht gewinnen,es kann-muss aber nicht.Natürlich hat jedes Land ihren Charakterzug,usw.Wenn etwas perfekt im Griff das Dargebotene auszeichnet, so ist die Herausforderung (nötig),es mit dem sozialen zu verbinden,auf direkten Weg.Dies allerdings ist nicht einfach aber verantwortlich.Meine Erfahrung mit der Musik ist,das Laien-Halbprofis-Profis zusammen Events veranstalten und in die Wege leiten und das sogenannte Publikum einbeziehen.Publikum abholen und nicht perfekt voll-dröhnen mit Musik in der Selbst-Darstellung.Das Publikum findet dann kaum einen Form sich zu bewegen,zu unterhalten,Innehalten zum Aufbauen ihre eigene Wahrnehmungsfähigkeiten und Ausserungen mit sich selbst und den Anderen.

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