Die Kirche und ihre Trolle

Elf evangelikale Männer und eine Frau haben einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie (wieder mal) behaupten, ihre Sicht auf Gott und Christentum sei die einzig wahre und alle, die etwas anderes glauben, hingen irgendwelchen Ideologien an.

Angeblich geht es darum, die wahre Lehre des Christentums zu bewahren. In Wirklichkeit geht es aber natürlich darum, die Machtposition der Fundamentalisten innerhalb der evangelischen Kirche auszubauen und durch möglichst viele Unterschriften eine Drohkulisse aufzubauen.

Und es geht darum, bestimmte ideologische Vorstellungen vom Christentum zu zementieren (wie: Außerhalb von Ehepaaren, die aus genau einem Mann und einer Frau bestehen, darf es keinen Sex, keine Liebe, keine Kinder geben; Das Wichtigste an Jesus ist nicht die von ihm vorgelebte Ethik und die Lehre vom Reich Gottes, sondern dass er sich für uns hat ans Kreuz nageln lassen; Außerhalb von Jesus Christus gibt es keine Erlösung, das heißt, alle anderen Religionen sind falsch).

Die Liberalen in der Kirche beschwichtigen gerne, wenn wieder mal so etwas passiert. Sie sagen dann, dass die Sühnetheologie doch längst nicht mehr gelehrt werde, sie behaupten, die Kirche würdige alle Formen von Liebe und sie behaupten, das Christentum wäre am Austausch mit Menschen aus anderen Religionen ernsthaft interessiert. Sie versuchen also, die Fundamentalisten mehr oder weniger zu ignorieren oder so zu tun, als wären die unwichtig.

Aber das ist ein Fehler. Es ist diesen Leuten in den vergangenen Jahren zunehmend gelungen, die evangelische Kirche zu kapern. Man denke nur an die Kampagne gegen den baden-württembergischen Bildungsplan oder daran, wie sie die Arbeit am Familienpapier der EKD blockieren. Das Projekt „Eine Tür“ der Evangelischen Frauen- und Männerarbeit, das eigentlich christliche Positionen zu Beziehungsfragen nach außen kommunizieren wollte, wird seit seinem Start von evangelikalen Trollen überrannt. Und der große fundamentalistische Lärmpegel in den Debatten ist meiner Meinung auch einer der Gründe für die relative Erfolglosigkeit des Projekts www.evangelisch.de.

Die Fundamentalisten zerstören die ernsthaften Debatten über Gott und Religion genauso wie Maskulinisten-Trolle die Debatten über Geschlechter und Feminismus zerstören. Und beiden gemeinsam ist, dass sie in ihren Kreisen gut mobilisieren und sehr strategisch vorgehen, sodass sie viel zahlreicher und maßgeblicher wirken als sie eigentlich sind.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich will ihnen nicht das Christsein absprechen. Christentum ist schon immer eine pluralistische Angelegenheit, es war schon immer falsch, Dogmen aufzustellen und von anderen zu verlangen, Dinge zu glauben, wenn sie sie nunmal nicht glauben. Und das gilt meiner Ansicht nach auch für die, die nunmal an die Sühnetheologie glauben oder an die Gottgewolltheit der binären Geschlechterordnung. Solange sie akzeptieren, dass sie eine Stimme unter sehr vielen christlichen Stimmen sind, können sie diese Stimme meinetwegen auch erheben.

Das Problem ist nicht, dass solche Ansichten vertreten werden, sondern dass sie von den Fundamentalisten eben gerade nicht vertreten werden, weil sie nämlich Andersdenkenden von vornherein die Ernsthaftigkeit absprechen, zum Beispiel, indem sie ihnen Ideologie, Zeitgeistigkeit und so weiter vorwerfen. Ihr Anliegen ist nicht die Auseinandersetzung, sondern sie hoffen auf das Prinzip „Wer am lautesten schreit, hat recht“ – und kommen damit leider eben allzu oft durch.

Wie im Internet so ist auch in der Kirche der Ratschlag „Don’t feed the Trolls“ falsch, denn Trolle geben sich immer gut an den Zeitgeist angepasst, sodass sie auf den ersten Blick harmlos und sogar plausibel aussehen. Natürlich sind alle Christen dagegen, die Botschaft des Evangeliums zu verwässern. Und natürlich sind wir alle dagegen, Männer zu diskriminieren. Es ist daher notwendig, sich öffentlich von solchen Positionen zu distanzieren und den quasi unbeteiligten und wenig im Thema versierten Zuschauer_innen zu erläutern, warum diese Unterstellungen (Nicht-Fundis wären nicht fromm oder Feministinnen wollten Männer unterdrücken) erstens falsch sind und zweitens unverschämt.

Die Strategie, die Trolle gewähren zu lassen und zu hoffen, dass es außerhalb ihrer Filterbubbles niemandem auffällt, geht nicht auf, im Internet genauso wie in der Kirche. Die Konfliktscheuheit der Kirchenleitungen gegenüber den Evangelikalen wird den Zerfall der Kirche als Organisation weiter beschleunigen, weil die „normalen“ Menschen sich kopfschüttelnd abwenden.

Und weil die Engagierten in die innere Emigration gehen, sich aus purer Erschöpfung nicht mehr an den notwendigen Debatten um die Ausrichtung der Kirche beteiligen. So wie es viele getan haben, die sich im Umfeld der „Bibel in gerechter Sprache“ engagiert haben. Die dauernden Unterstellungen, Angriffe und Mobbing haben dazu geführt, dass kaum noch jemand aus diesem Umfeld eine wichtige öffentliche evangelische Stimme ist. Da brauchen wir gar keine Inquisition und Lehrverbote mehr, die Leute verstummen von selber.

Es ist mit der Kirche wie mit einem Blog: Wenn man den Trollen ein Forum bietet, sich auszutoben (etwa weil man ihre Kommentare freischaltet und ernst nimmt, weil das kurzfristig die Anzahl der Kommentare erhöht), vergrault man diejenigen, mit denen man interessante Debatten führen könnte. Genau diese Gefahr besteht meiner Meinung nach zur Zeit für die evangelische Kirche als Organisation.

Nicht, dass Ihr das falsch versteht und meint, ich wäre pessimistisch, das bin ich nicht. Als ich das Thema gestern auf Facebook ansprach, fragte eine: „Wozu brauchen Nicht-Evangelikale eigentlich die Kirche?“, und das ist eine gute Frage. Eine andere kommentierte: „Wenn die Institution Kirche sich (deshalb) überlebt, dann finden sich eben andere Formen und Strukturen für Wahrheitssuchende mit Herz und Verstand – semper reformanda dann quasi ohne jegliche Tellerränder, doppelte Böden und Kirchtürme.“

Genau so ist es nämlich.

 

74 Antworten auf „Die Kirche und ihre Trolle

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  1. Ähm… Martin Luther kann man ganz sicher nicht in seinem Antijudaismus zusammenfassen. Johannes Wallmann hat zu recht darauf hingewiesen, dass der harte Antijudaimus Luther lange Jahre nur wenig Wirkung gezeigt hat und bei vielen Theologen völlig unbekannt war. Menschen wie Dietrich Bonhoeffer haben Luther klar judaistisch rezipiert und sich gerade wegen Luther gegen den nationalsozialistschen Antisemitismus gestellt. Zentral wird immer Luthers Interpretation der Rechrtfertigungslehre bleiben.

    Es könnte mehr passieren in der Kirche. Dennoch: Wenn man Kollegen fragt, welche Predigtkommentare sie empfehlen, dann wird an vielen Stellen zunächst der Kommentar im jüdisch-christlichen Dialog genannt. Fast alle Landeskirchen haben entsprechende Beschlüsse zum jüdisch-christlichen Dialog in ihren Grundordnungen verankert. Die erneuerte Agende, das ev. Gottesdienstbuch sieht als einen von 7 Grundsätzen ausdrücklich vor, den jüdisch-christlichen Dialog angemessen im Gottesdienst zu berücksichtigen. Entsprechend wird auch die 6-jährigeLeseordnung der Predigt- und Lesetexte im Gottesdienst aktuell überarbeitet.

    Es könnte immer noch mehr passieren. Wer aber nicht mitbekommt, wie viel schon passiert, hat in meinen Augen nicht wirklich die Kompetenz, die Kirche an dieser Stelle zu kritisieren.

    Protestantische Theologie ist auch in ihrem Selbstverständnis niemals perfekt. Zumindest nicht in _dieser_ Welt. Darum werde ich auch von Martin Luther keine Unfehlbarkeit erwarten. Und umgekehrt bedeuten kleine und große Fehler nicht, dass man jemand komplett in den Orkus kippen müsste. Shitstürme sind schnell angezettelt. Ob sie aber der richtige Weg sind, die Welt besser zu machen, würde ich bezweifeln. Rechtfertigung bedeutet auch die Solidarität fehlbarer Menschen mit fehlbaren Menschen. Wir wollen zusammenleben, trotz unserer Fehler, aus der Solidarität der von Gott angenommenen Sünder.
    Die fehlerlose Welt der Fehlerlosen hingegen ist für mich eher ein Bild der Hölle.

  2. @Bernd Kehren 17. August 2015 um 21:26
    Danke Bernd Kehren für die differenzierte Antwort – ich teile sie weitgehend, zumal ich in der eigenen Familie unübersehbar erlebe, wie das praktische religiöse Leben sich zeitgemäß und weder verstaubt noch am Buchstaben klebend täglich ohne den Antijudaismus des Luther vollziehen läßt, sogar deutlich erklärt wird: der Mann lag in diesem Bereich völlig neben seinem Intelligenzpotential und der christlichen Religion, die einen Antijudaismus nie nötig hatte – aber wie das so ist mit Schmähungen und Sanktionen: Die ich rief die Geister, werd ich nun nicht los, jedenfalls nicht ohne tiferem Gesichtsverlust. Meine Familie weiß das und wundert sich, wieso jede große historische Persönlichkeit in ihrem Werk die volle Kritik des heuitigen Zeitgeistes und seiner Erkenntnis und Entwicklung zu erfahren hat, nur die Theorie und Theologie Luthers wird zu dieser Frage an keiner obrigen Institution OFFIZIELL als widerwärtige Entgleisung gekennzeichnet.
    Lutherischer Geist und Elan ist das keinesfalls, wer ihm einen Dienst erweisen will, muß sich zu ihm so wie er seinerzeit sich zum Pabst kritisch offenbarte, positionieren oder ist eben kein Lutheraner.
    Mit „Es könnte immer noch mehr passieren“ ist dieses Kernproblem der Lutheraner weder beschreibbar noch überdeckbar, solange das nicht offiziell religionstheoretisch beräumt wird, Luther wie der Protestantismus davon befreit wird, muß sich der christliche Protestantismus das nachsagen lassen, was Luther an Unaufrichtigkeit und Bigotterie der damaligen Katholischen Kirche entgegenschleuderte, und das sehen die Menschen, immer mehr. Die aufmunterten Bestrebungen „von unten“ im täglichen kirchlichen Leben reichen da eben leider nicht,.
    Dies festzustellen, ist jedem Menschen erlaubt, der dem Einzug der Steuer für diese Kirche durch den allen gehörenden Staat zu erdulden hat.
    Und hier mache ich auch mal einfach einen PUNKT.

  3. Wegen einer einer konkreten Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen „Aufruf“ bitte ich, mal in den älteren Kommentaren nachzuschlagen.
    Was Luthers Antijudaismus betrifft: Luthers Spätschrift wird in der EKD-Studie Christen und Juden III als
    „erschreckendes Zeugnis tief verwurzelter Judenfeindschaft“ gekennzeichnet.

    Mag sein, dass eine formale kurze Distanzierung seitens der Kirchen aussteht, inhaltlich haben sich alle Landeskirchen und die EKD an zahlreichen Stellen mit dem christlichen Antijudaismus auseinander gesetzt und dagegen differenziert praktisch und theologisch Position bezogen.

    Wenn meine eigene Landeskirche die bleibende Verbundenheit mit Israel in die Grundordnung ihrer Kirche schreibt, dann hat sie sich damit klar und deutlich gegen Luthers Ausfälle positioniert. Deutlicher eigentlich, als sie es mit einer formalen Distanzierung von den einschlägigen Schriften Luthers hätte tun können.
    http://www.kirchenrecht-ekir.de/document/3060#s10000002

    Vgl. auch die Zusammenfassung: https://www.ekd.de/download/christen_und_juden_I-III.pdf sowie die Texte der einzelnen Studien „Christen und Juden“ I bis III, die entsprechend downloadbar sind.

  4. @Bernd Kehren 24. August 2015 um 9:44
    „Wenn meine eigene Landeskirche die bleibende Verbundenheit mit Israel in die Grundordnung ihrer Kirche schreibt, dann hat sie sich damit klar und deutlich gegen Luthers Ausfälle positioniert. “
    Mitnichten „positioniert“, mitnichten hat ihre Kirche DAS getan, Herr Kehren, was bitte hat eine bekundete „Verbundenheit mit Israel“, denke mal sie meinen den gegenwärtig von einer rechtsnationalistischen Regierung geführten Staat Israel, bitte mit den Juden in der Welt zu tun?
    Weltweit leben mehr Juden außerhalb dieses so regierten Territoriums, und um Juden geht es doch, oder um Israelis, israelische Staatsbürger, zu denen auch 20 % Nichtjuden gehören und wo über die Hälfte der weltweiten Juden nicht zu Hause sind?

    Zumal von Luthers massiver und für ihn typischer Judenhetze (das ist etwas qualitativ anderes als Feindschaft) kein Wort ist, nur von verniedlichender Judenfeindschaft, die wohl eher eine Christenfeindschaft ist, da sie unvereinbar mit allen (von uns gepriesenen) „christlichen Normen und Empfehlungen“, wie allein schon der Christlichen Nächstenliebe, ist. Heuchelei von Nächstenliebe – und nur um die geht es hier, da das wie eine Glocke über dem Protestantismus schwebt – ist so zu nennen, oder es erfolgte eben keine Distanzierung.

    Tut mir leid, Herr Bernd Kehren, aber jeder „Mitläufer in Heidenau“ (Merkel) würde laut Siegmar Gabriel für derart „fremdenfeindliches Geschrei“ sofort verhaftet und rigoros der Justiz zugeführt, da das strafbewährte Sichten und nicht zu dulden sind.
    Offensichtlich haben Sie die Ernsthaftigkeit und Aktualität dieser Sache nicht erfaßt oder verdrängen sie, das wäre dann eine solche Trollerei der Kirche, oder?

  5. Ich danke Dir liebe Antje Schrupp für Deine feinfühlige genaue Analyse des Fundamentalismus. Ich bin nicht evangelisch, ich erkenne, dass der Fundamentalismus in jeder Religion und in jeder Glaubensrichtung ähnliche Strukturen aufweist. Als Katholikin grüße ich Dich als Schwester im Glauben an Christus.

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