Eine Sache, die mich sehr ärgert ist, wenn mir Dankbarkeit dafür abverlangt wird, dass ich in einer Gesellschaft lebe, in der Frauen relativ gleichgestellt sind, in der es relativ wenig krasses Patriarchat gibt. Aktuelles, ganz kleines Beispiel war eine Reaktion auf meinen gestrigen Blogpost über das neue Freundschafts-Icon bei Facebook, worauf jemand meinte: Jetzt würde sich doch Facebook schon um mehr Geschlechtergerechtigkeit bemühen, warum ich denn dafür nicht dankbar wäre, sondern schon wieder was dran herumzumäkeln habe.
Sehr gerne wird mir das auch von Vertretern der evangelischen Kirche gesagt, nach dem Motto: Ob ich nicht mal dankbar sein könnte, dass sie ja viel weniger frauenfeindlich sind als die meisten anderen Kirchen. Oder von Vertretern des deutschen Staates: Hier bei uns sind Frauen doch viel besser dran als früher oder woanders auf der Welt.
Das macht mich sehr ärgerlich, weil ich niemandem Dankbarkeit dafür schulde, mich nicht zu unterdrücken. Es ist nämlich mein gutes Recht, nicht unterdrückt zu werden – und für Dinge, die mein gutes Recht sind, bin ich nicht dankbar.
Andererseits ist Dankbarkeit etwas, das ich sehr wichtig finde. Es ist nicht zufällig ein Stichwort in unserem ABC des guten Lebens. Und auch Ingrid Strobls Plädoyer für ein kleines Danke unterschreibe ich.
Aber ich finde, man muss durchaus unterscheiden, wem gegenüber Dankbarkeit angebracht ist. Es ist richtig, dass fehlende Dankbarkeit Beziehungen belastet, so wie in der Geschichte, die Ingrid Strobl beschreibt. Es gibt aber auch fehlgeleitete Dankbarkeit, nämlich dann, wenn man zu häufig Menschen dafür dankbar ist, dass sie etwas tun, was eigentlich bloß ihre Pflicht ist. Denn das kann diese Menschen dazu verführen, zu vergessen, was ihre Pflicht ist, und sich einzubilden, sie würden etwas großartig Tolles tun. Denn gerade deshalb, weil Dankbarkeit auf eine Gabe verweist, die nicht selbstverständlich und nicht ein Recht ist, kann sie umgekehrt den Effekt haben, dass Leute die Tatsache, dass ihnen gedankt wird, so verstehen, dass das, was sie gegeben haben, ihre persönliche Großzügigkeit war und nicht ihre Pflicht. Dankbarkeit ist notwendig, um eine Kultur zu haben, in der Gaben zirkulieren, die nicht selbstverständlich sind. Aber fehlgeleitete Dankbarkeit kann auch dazu führen, dass Leute nicht mal das tun, was ihre Pflicht ist.
Trotzdem bin ich aber natürlich „dankbar“ dafür, in einer Gesellschaft zu leben, in der Frauen vergleichsweise viele Möglichkeiten und Rechte haben. Ich bin froh, dass Vergewaltigungen bei uns verboten sind, dass es keine Gesetze gibt, die mir bestimmte Berufe verbieten und so weiter.
Aber dafür bin ich nicht dem Staat oder den Männern dankbar, sondern meine Dankbarkeit richtet sich auf etwas Unbestimmtes, auf jene „unverfügbare Leerstelle“ eben, die ich Gott nenne. Indem ich „Gott“ danke, kann ich dankbar sein (und diese Dankbarkeit auch adressieren und öffentlich aussprechen), ohne aber bestimmten Menschen dankbar sein zu müssen.
Wobei doch gerade im letzten Punkt die Dankbarkeit eher nicht der UVL sondern all den Menschen (Frauen und Männern) gebührt, die hart dafür gekämpft haben, dass wir heute in eben diesen von Dir in den letzten beiden Abschnitten beschriebenen Zustände leben können.
Find ich.
Das hat aus meiner Perspektive eher weniger mit nicht-Adressierbarkeit von Dankbarkeit oder „Gott“ als mit gesellschaftlichem Engagement von Menschen zu tun.
@Sternenguckerin – Ja, aber allgemein „dem Engagement von Menschen“ dankbar zu sein, hat ja auch keine spezielle Adressatin. Ich kann ihnen – anders als jemandem, die mir was schenkt – nicht persönlich danken. Ina Praetorius nennt Gott ja auch „Das Große Umunsherum“, das schließt für mich auch die Leute, die früher dazu beigetragen haben, das jetzt was gut ist, ein (und schließt nicht aus, sie zu würdigen, bzw. schließt es imho ein). Und das war ja auch nur ein Beispiel. Ich bin auch dankbar dafür, dass ich gesund bin, generell für Sachen, bei denen ich „Glück“ hatte, die gut ausgehen, obwohl es heikel war… – das ist immer eine Mischung aus Zufall und Leuten, die man gar nicht mehr einzeln identifizieren kann. „Gott“ ist für mich Platzhalterin für das alles.
Ok, das ist dann eher holistisch, oder? Also „Gott“ ist eben überall „drin“ und „wirkt“ auch dort, wo konkret Menschen für etwas verantwortlich zeichnen, z. B. Deine freie Berufswahl?
Aber im unangenehmen Fall auch dort, wo unterdrückt wird…?
@Sternenguckerin – Nein, auf gar keinen Fall, Gott ist nicht überall. Ich benutze es als Wort für das, „wie die Welt eigentlich gemeint ist“. Eine Gottesvorstellung, wonach alles, was ist, von Gott gemacht ist, fände ich sinnlos. Menschen machen auch Sachen. Die Vorstellung von „Gott“ ist ja gerade z.B. (imho) dazu da, einen Maßstab zu haben für richtiges und falsches Handeln. Es gibt ja meiner Ansicht nach auch das Böse, das ist sicher auch nicht Gott. (http://www.antjeschrupp.de/das-boese)
@Sternenguckerin: Mir fällt auf, dass du immer wieder die gleichen Fragen stellst. Immer aus deiner eigenen Perspektive heraus, von deinem eigenen Standpunkt ausgehend.
Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
Neulich hatte ich eine Diskussion bis zum schwindlig werden mit meinem Partern über die Burneshas, die Antje auf Ihrem anderen Blog vor kurzem erwähnt hatte. (Frauen, die als Männer aufwachsen, damit sie machen können, was sie wollen, zum Beispiel Ziegen hüten.)
Ich erzählte meinem Partner davon. Und meinte, dieses (einfache) Bild stünde für mich symptomatisch dafür, warum auch in unserer westlichen europäischen Kultur die Beziehungen zwischen Frauen und Männern so sind, wie sie sind: Weil bei den Burneshas eine Frau, wenn sie frei und unabhängig sein will – und sei es nur, um Ziegen hüten zu können – ein Mann sein muss.
Mein Partner hatte es, ohne zu hinterfragen, so verstanden und für sich interpretiert, dass Männer Frauen unterdrücken (also Täter-Opfer-Konstruktion). Aus dieser Annahme heraus kan er mit ein paar oberflächlichen Argumenten, um dann schließlich sich persönlich angegriffen zu fühlen (als Mann) – und in Verteidigung zu gehen – mit mehr oberflächlichen Argumenten- was mich immer angriffslustiger gemacht hat.
In der weiteren Auseinandersetzung bin ich dann ein paar Schritte zurückgegangen und habe dann erst mal herausgefunden, was denn überhaupt meine Quintessenz war, mein Blickwinkel, mein Bezugspunkt. Ich hatte in der Diskussion angenommen, dass das doch ganz klar ist. Das war jedoch ein Irrtum.
Jedenfalls stellte ich durch diese Auseinandersetzung fest, dass mein Blickwinkel, aus dem heraus ich auf die Burneshas als Metapher guckter, der war, dass das Männliche die Norm ist, der Maßstab. Und das diese männliche Norm die Ursache ist für die Geschlechterbeziehungen, für die Stellung des Mannes und für der Stellung der Frau.
Weil jedoch mein Partner diesen einen wichtigen Satz: „eine Frau muss erst ein Mann sein, wenn sie frei sein will bzw. nur wenn sie ein Mann ist, kann sie frei sein“ nicht begriffen hat, sondern von seiner Interpretation (Mann unterdrückt Frau) ausging und wohl auch dachte, dass ich das damit sagen wollte, ausging, haben wir uns in der Diskussion gegenseitig hochgeschaukelt.
Erst als wir das klären konnten, von welchem Blickwinkel wir jeweils ausgingen, konnten wir das dann so stehen lassen.
So ähnlich empfinde ich das bei dir, wenn du über das Thema des Großen Unverfügbaren diskutierst.
@Onlinemeyer:
Klar schreibe und frage ich aus meiner eigenen subjektiven Perspektive.
Und damit liege ich dann natürlich auch gerne mal total daneben, logo.
Ich bin dankbar dafür, dass @Antje immer wieder versucht, mir eben ihre ganz eigene, subjektive Perspektive zu erklären.
Offensichtlich (siehe oben) klappt`s mit dem Verstehen dann zwar doch nicht immer, aber so ist das eben manchmal im Leben 😉
Du schreibst:
„Ich hatte in der Diskussion angenommen, dass das doch ganz klar ist. Das war jedoch ein Irrtum.“
Jo. Das passiert sehr oft. Wenn man diesen Irrtum dann aufklären kann, ist doch schon was geschafft 😉
@Antje: Danke für den Link, das ist ja ein bisschen mehr Text, das schaue ich später mal an!
„Indem ich “Gott” danke, kann ich dankbar sein (und diese Dankbarkeit auch adressieren und öffentlich aussprechen), ohne aber bestimmten Menschen dankbar sein zu müssen.“
Ich dachte Gott sei Mensch?